Menschheit vernichtet Unwiederbringliches
„Menschheit vernichtet Unwiederbringliches“Natur Seit 1989 wird am 14. September auf die Zerstörung der Tropenwälder hingewiesen. Das tut der Günzburger Verein Faszination Regenwald ständig. Vorsitzender Bernhard Lohr und der befreundete Schauspieler Michael Mendl ziehen Bilanz
Bernhard Lohr (links) und Michael Mendl vor sieben Jahren bei Dreharbeiten zum zweiten gemeinsamen Dokumentarfilm über Regenwälder. Damals waren der Günzburger Biologe und der in Berlin lebende Schauspieler auf Borneo. Jetzt ziehen sie Bilanz – nach zuletzt aufrüttelnden Berichten der Leopoldina und des WWF. Archivfoto: Jens Wolf
VON TILL HOFMANN
Günzburg Um die biologische Vielfalt war es noch nie so schlecht bestellt wie heute. Das ist das alarmierende Fazit des sogenannten Living Planet Report, den die Natur- schutzorganisation WWF vor wenigen Tagen veröffentlicht hat. Da nach gibt es in einem Zeitraum von 46 Jahren (die Werte beziehen sich auf die Jahre von 1970 bis 2016) 68 Prozent weniger Säugetiere, Repti- lien, Vögel oder auch Fische.
Bernhard Lohr, der Vorsitzende des Vereins Faszination Regenwald, warnt schon lange vor der Zerstörung der Tropenwälder, auf die seit über 30 Jahren am 14. September besonders hingewiesen wird.
Im Schatten der Corona-Krise steigen die Abholzungsraten in Amazonien „leider dramatisch weiter an“, bedauert er. Und auch in den Diskussionen um den Klimawandel, die vor Corona verstärkt geführt worden sind, „kommt das Artensterben zu kurz. Dabei hängen Artenvielfalt, Klimawandel und Abholzung der Regenwälder ja unmittelbar zusammen“, sagt Lohr.
Mit dem befreundeten Schauspieler Michael Mendl macht er zum heutigen Tag der Tropenwälder darauf aufmerksam, „dass sich der Planet durch den Artenschwund deutlich schneller verändern wird als durch ein sich wandelndes Klima.“ Der promovierte Biologe und Arzt Lohr und Charakterdarsteller Mendl fordern, das Artensterben zu stoppen – regional und global. Es müsse einen radikalen Kurswechsel im Umgang mit der Natur geben. Sie berufen sich dabei auf ein Diskussionspapier der Nationalen Aka-
Das Artensterben betrifft nicht nur die Tropendemie der Wissenschaften, Leopoldina, vom Mai. Darin werden für Deutschland eklatante Versäumnisse beim Artenschutz beschrieben.
Mendl wird emotional, als er feststellt: „Seit knapp 20 Jahren setze ich mich gemeinsam mit dem Günzburger Verein Faszination Regenwald dafür ein, dass endlich wahrgenommen wird, dass mit der Vernichtung der tropischen Regenwälder ein bisher nicht gekanntes Artensterben einhergeht.“
2003 bereits haben Lohr und Mendl in ihrem ersten gemeinsamen Film thematisiert, dass Deutschland durch den Import von Soja-Futtermitteln für die Massentierhaltung indirekt für die Rodung von einer Million Hektar tropischen Regen- waldes mit verantwortlich ist. Bestätigt sieht sich Mendl durch den Bericht der Leopoldina, der ein düsteres Bild über den Zustand der Erde aufzeigt. Demnach sind rund eine Million der acht Millionen auf der Erde vorkommenden Arten in ihrer Existenz bedroht. Das Artensterben betrifft aber bei Weitem nicht nur die Tropen, zeigt sich der Schauspieler bestürzt: „Auch hierzulande befinden sich 69 Prozent der Lebensräume in einem beklagenswerten Zustand.“
Bei seinen Besuchen in Günzburg falle ihm immer wieder auf, „dass es kaum noch blühende Wiesen gibt. Auf den meisten Flächen wird intensive Landwirtschaft betrieben.“ Dies gelte natürlich nicht nur für Bayerisch-Schwaben, sondern für große Teile Deutschlands.
Da sei es kein Wunder, dass die Biomasse an Insekten und in Folge die Zahl und Vielfalt an heimischen Vögeln immer weiter abnehme, so der Schauspieler weiter. „80 Prozent des Biodiversitätsverlustes gehen auf die intensive Landwirtschaft zurück“, zitiert Lohr aus dem Bericht der Leopoldina. Medien produzierten in den vergangenen Wochen und Monaten als Reaktion auf die wissenschaftlichen Beobachtugen vermehrt Schlagzeilen. „Mehr als 500 Landwirbeltiere akut bedroht“ und „Umweltschützer beklagen massiven Urwaldverlust“, waren, wie Lohr erwähnt, zwei Berichte auf Spiegel online am 3. Juni überschrieben. Am selben Tag verlieh die Bild-Zeitung dem tropischen Regenwald den Titel „Verlierer des Tages“.
Wenige Tage zuvor hatte der Günzburger Grünen-Stadtrat und Kreisrat Lohr am Bahnhofs-Kiosk die Ausgabe von National Geographic gekauft, die auf ihrer Titelseite ein Potpourri an unterschiedlichen Insekten zeigt und in großen Lettern feststellt: „Wir werden sie vermissen, wenn sie alle gegangen sind.“
„Wenn es nicht viel zu traurig wäre, könnte ich sagen: Endlich wird das wahrgenommen, was wir seit vielen Jahren in Vorträgen, Filmen und Veranstaltungen immer wieder versucht haben, deutlich zu machen: Nämlich dass mit dem durch Menschen verursachten globalen Massensterben von Tier- und Pflanzenarten das verspielt wird, was unsere kleine Erde so einzigartig macht. Und diese Einzigartigkeit ist nun mal die Vielfalt des Lebens! Mit dem Schauspieler Michael Mendl habe ich zwei Regenwald-
Filme gedreht, einzig mit dem Ziel, zu veranschaulichen, dass mit der Vernichtung der tropischen Regenwälder ein wahnsinniger Verlust an Artenvielfalt einhergeht.“
Bernhard Lohr stellt sich die Frage, warum die ganze Mühe von ihm, seinen Stellvertretern im Verein, Birgit Fahr und Kurt Schweizer, und Michael Mendl überhaupt betrieben wird? „Birgit ist Lehrerin, Kurt Personalmanager, Michael Schauspieler und ich Arzt. Wir verdienen unsere Brötchen mit oder ohne Regenwald, könnte man meinen. Was uns eint, ist der Gedanke, dass die Menschheit derzeit Unwiederbringliches vernichtet, dessen Entwicklung Jahrmilliarden gedauert hat. Eine einmal ausgestorbene Art kann durch keine Macht des Universums wieder zurückgeholt werden.“
Michael Mendl zieht eine ernüchternde Bilanz: „Früher war ich hoffnungslos. Ich bin es noch zum größten Teil“, sagt er am Telefon zu unserer Zeitung. Wenn man erlebe, wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro mit den Regenwäldern in seinem Land umgehe, bleibe nur noch Furcht und Ohnmacht. „In vier Jahren werde ich 80, dann habe ich mehr als zwei Drittel meines Lebens hinter mir – und die Folgen der Zerstörung könnten mir egal sein“, sagt er und fährt fort: „Aber weinen darf ich bis zu meinem Tode und die Tränen meinen Kindern weitervererben.“ »Kommentar
Naturschutz, Wissenschaft und ein Charakterdarsteller |
● WWF Die drei Buchstaben stehen für „World Wildlife Fund“. Die Stiftung wurde 1961 in der Schweiz gegründet. Die Organisation hat den internationalen Tag des Tropenwaldes erstmals 1989 initiiert. Am 14. September deshalb, weil das der Geburts- tag des Naturgelehrten und Forschungsreisenden Alexander von Humboldt (1769-1859) ist. ● Leopoldina Die 1652 gegründete Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina ist mit ihren rund 1600 Mitgliedern aus nahezu allen Wissenschaftsbereichen eine klassische Gelehrtengesellschaft. Sie wurde (Nordrhein-Westfalen) geboren und lebt in Berlin. Er hat drei Kinder. In Zu- sammenarbeit mit dem Günzburger Bernhard Lohr entstand 2007 die WDR-Dokumentation „Mein Leben |
Kommentar
Es trifft natürlich auch uns
VON TILL HOFMANN
till.hofmann@guenzburger-zeitung.de
Die Digitalisierung hat die Welt revolutioniert. Innerhalb weniger Sekunden sind Informationen über im All platzierte Satelliten ausgetauscht. Geldströme fließen ebenso beständig wie der Jet-stream weht – aber eben viel schneller.
Die Erde macht dieses Tempo nicht mit. Und dennoch ändert sie sich – offenbar nicht zum Vorteil der Tier- und Pflanzenarten, deren Vielfalt erheblich abgenommen hat. Der Klimawandel trägt dazu bei. Und die sehr häufig durch Brandrodung dezimierten Regenwälder befeuern dies wiederum: Die grüne Lunge wird zur verkohlten Lunge.
Ein entspanntes Zurücklehnen mit dem Hinweis, dass dies ja weit, weit weg von uns geschehe, ist nicht hilfreich. Auch hierzulande, stellen Naturschutzexperten und Wissenschaftler fest, leidet der Artenreichtum.
Andere invasive Arten werden eingeschleppt. Die klimatischen Bedingungen sind passend für die Ankömmlinge. Fürchterlich erfolgreich breiten sie sich in ihrem neuen Lebensraum aus. Angestammte Tierarten werden verdrängt, Bäume und Pflanzen sind chancenlos. Ein Blick in den Süden des Landkreises genügt. Im Gemeindebereich Ziemetshausen wurde im Oktober 2014 erstmals der Befall von Bäumen durch den Asia- tischen Laubholzbockkäfer festgestellt. Plötzlich war Ostasien im Kreis Günzburg angekommen.