Johannes Refisch leitet das Menschenaffenprogramm der Vereinten Nationen. Warum er in Leipheim über die Situation dieser Primaten berichtet hat.Mehr unter: https://azol.de/60104121

Eigentlich hat Dr. Johannes Refisch vor über 20 Jahren Biologie in Bayreuth studiert und nicht Konfliktmanagement. Genau diese Fähigkeit aber, Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen an einen Tisch zu bringen und zu vermitteln, muss der am Niederrhein bei Wesel aufgewachsene Wissenschaftler an seinem Arbeitsplatz in der kenianischen Hauptstadt Nairobi fast täglich einsetzen.

hilfreich sei dabei, dass er dies unter dem Dach der Vereinten Nationen mit dem Menschenaffenprogramm (Great Apes Survival Partnership, abgekürzt: GRASP) tun könne, das er leitet. „Egal, mit wem ich gesprochen habe: Niemals hat irgendeine Partei die Neutralität der Vereinten Nationen angezweifelt.“ Das sei mit Greenpeace, dem World Wildlife Fund (WWF) oder anderen Nichtregierungsorganisationen nicht zu erreichen.

Sein Auftritt am Donnerstagabend in Leipheim hat sich erst vor gut zwei Wochen ergeben – und ist der Freundschaft zwischen ihm und dem Biologen und Arzt Bernhard Lohr geschuldet, der ihn kurzerhand verpflichtete, im Zehntstadel einen Vortrag über die Situation von Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans zu halten. Seit Pandemiebeginn konnte Refisch erstmals wieder nach Europa reisen, hält in Deutschland verschiedene Vorträge und besucht seine Familie.

Schlüsselposition für den Schutz des Regenwaldes und der Menschenaffen

Leipheim war die erste Station des 53-Jährigen. Seinem „alten Forscherkollegen“ ist es Lohr zufolge gelungen, „in eine der weltweit wohl wichtigsten Schlüsselpositionen für den Regenwaldschutz im Allgemeinen und den Menschenaffenschutz im Speziellen zu gelangen.“ Er sei für die Menschenaffen froh, dass Refisch in dieser Rolle agiere, „denn ich kann mir niemanden vorstellen, der sich mit mehr Sachverstand und auch mehr Herzblut für den Schutz von Primaten einsetzt als eben Johannes Refisch“.

Dass die Vereinten Nationen dem Schutz der Menschenaffen eine solche Bedeutung geben, ist vermutlich für diese Tiere überlebenswichtig. Aber wie lange geht das noch gut? Wie steht es um die Artenvielfalt insgesamt? Da wird Lohr, der vor 20 Jahren den Günzburger Verein Faszination Regenwald gegründet hat, nachdenklich. „Wir Menschen beanspruchen heute 50 Prozent der Landfläche zum Anbau von Nahrungs- und Energiepflanzen, wir graben die Erde um, um an die Rohstoffe zu gelangen, wir teeren und pflastern die Erde zu, und nicht zuletzt verändern wir das Klima in einer Art und Weise, wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. All das führt dazu, dass so faszinierende Geschöpfe wie Tiger, Nashörner, Gorillas und noch unzählige weitere Tier- und Pflanzenarten in Bälde nur noch in Zoos zu bestaunen sein werden beziehungsweise endgültig aussterben.

Experte in Leipheim: Täglich sterben 150 Tier- und Pflanzenarten aus

Der Lebensraumverlust ist der gewichtigste Grund, warum Tier- und Pflanzenarten für immer diesen Planenten verlassen – täglich sind es 150, sagt Lohr. Die Spitze des Eisbergs sei das Primatensterben. Vor rund 14 Millionen Jahren habe sich die Entwicklungslinie des Orang-Utans von der des Menschen getrennt. Von diesen Tieren leben heute noch zwischen 40.000 und 50.000 in den letzten übrig geblieben Wäldern Borneos und Sumatras. Von ihren nächsten Verwandten, den Vertretern der Art Homo sapiens, gebe es momentan um die sieben Milliarden Exemplare – und bald sollen es zehn bis elf Milliarden Menschen sein.

Refisch beeindruckte in Leipheim mit seiner Sachkunde und seiner pragmatischen Herangehensweise: Er befürwortet beispielsweise die begleiteten Touren zu den Berggorillas im Dreiländereck von Ruanda, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo. Ein solches Ticket zu den Gorillas kostet für eine Stunde pro Person 1500 Dollar. Ein Teil dieses Geldes geht direkt an Projekte für die lokale Bevölkerung mit dem Ziel. deren Lebenssituation zu verbessern. Täglich wurden damit Einnahmen in Höhe von 120.000 US-Dollar erzielt.

Warum Gorilla-Touristen gut sind

Geld, das nun wegen der Corona-Pandemie nicht mehr geflossen ist, denn der Gorilla-Tourismus kam zum Erliegen. Das ist letztlich auch schlecht für den Naturschutz, folgert Refisch. Wenn es den Menschen im Virunga-Gebiet gut gehe, dann gehe es auch den Gorillas dort gut. In den vergangenen 40 Jahren habe sich die Population der Berggorillas von ungefähr 500 auf über 1000 Exemplare verdoppelt. „Das ist eine der ganz wenigen Erfolgsgeschichten des Artenschutzes.

Zehn Jahre lang sei kein Gorilla in der Region getötet worden. Kürzlich aber wieder einer, weil sich Wilderer, die Fallen für Antilopen und Springböcke vorbereiteten, von dem Tier bedroht fühlten und es erschossen. „Das war ein Versehen, wenn man so will. Aber es mehren sich die Indizien, dass es wieder größere Wilderei-Aktivitäten gibt.“

Günzburger Verein kauft Regenwaldflächen auf Borneo

Von Afrika zu Asien: Der Günzburger Verein Faszination Regenwald und sein Partnerverein Fans for Nature in Niederbayern kaufen auf Borneo Regenwaldflächen auf, in denen aus Gefangenschaft befreite Orang-Utans wieder ausgewildert werden – zwei lokale Initiativen, die einer sich abzeichnenden verheerenden weltumspannenden Entwicklung im Kleinen entgegenwirken. „Die entscheidende Schlacht zur Rettung der Menschenaffen, zur Rettung der globalen Artenvielfalt, die wird auf politischer Ebene geschlagen und genau hier wirkt Johanes Refisch als einer er obersten Repräsentanten der Weltgemeinschaft in Sachen Menschenaffenschutz“, verdeutlicht Lohr noch einmal.

Der Angesprochene will sich für „Wildlife-Zertifikate“ stark machen, die an einem ähnlichen Hebel ansetzen wie die CO2-Zertifikate im Klimaschutz. „Das aber ist viel komplexer und momentan überhaupt noch nicht fassbar. Da müssen sich Ökonomen damit beschäftigten“, sagt Refisch. Er regt eine Studie zu der Thematik an.

Verdrängt der Mensch fast alle anderen Primatenarten?

Wird sonst das eintreten, was der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht in seinem Buch „Das Ende der Evolution“ so plastisch darstellt – nämlich das drei Viertel aller rund 500 Primatenarten in Gefahr sind, zu verschwinden – und das dank der 504. Primatenart, dem Menschen? Refisch schließt nicht so pessimistisch, sondern appelliert, ohne es auszusprechen, an die Verantwortungsbereitschaft der Menschen für ihre nächsten Verwandten.

Beeindruckende Aufnahmen des passionierten Fotografen Refisch unterstreichen dieses Anliegen. Und gemeinsame Techniken zwischen Mensch und Affe werden auf die Leinwand projiziert: Zwei Buben schützen sich mit großen Blättern vor dem starken Regen. Der junge, auf einem Baum sitzende Gorilla macht es ganz genauso.

 

Das Foto, auf dem vier in der Demokratischen Republik Kongo getötete Berggorillas zu sehen sind, ist 14 Jahre alt und nach den Worten von Johannes Refisch eine „Warnung der Holzkohlenmafia“ an Torismus und Naturschutz, diesen Geschäftsleuten besser nicht ins Gehege zu kommen.