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Bernhard Lohr im Jahr 2013 mit einem „Waldmenschen“. Das ist die Übersetzung der malaiischen Bezeichnung Orang-Utan. Lohr drehte damals mit dem Schauspieler Michael Mendl einen Film, der die Zerstörung des Lebensraums dieser Menschenaffen anprangert. Von Mendl, der heute seinen 76. Geburtstag begeht, stammt auch dieses Foto. Es ist in einem Nationalpark entstanden, in dem Orang-Utans ausgewildert werden.

„Intakte Natur ist ein Schutzwall gegen neue Pandemien“

Interview Die ökologischen Verwerfungen, die die Ausbreitung des Coronavirus erst ermöglicht haben, kommen in der hektischen Diskussion um Impfstoffe und Hygieneregeln unter die Räder. Das meint der Günzburger Biologe und Arzt Bernhard Lohr. Höchste Zeit also, darüber zu sprechen

Herr Lohr, seit über 20 Jahren setzen Sie sich für den Schutz tropischer Regenwälder ein mit dem Ziel, vor allem einen Beitrag zum Erhalt der globalen Artenvielfalt zu leisten. Nun scheint die Menschheit von den Folgen der Plünderung eingeholt zu werden, denn eine Vermutung lautet, dass dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 in den sogenannten Wet-Markets der chinesischen Stadt Wuhan der Übertritt vom Tier auf den Menschen gelungen ist.

Bernhard Lohr: Meine Motivation für den Schutz der Vielfalt des Lebens auf der Erde entspringt vor allem der Faszination für den Prozess der Evolution, also der Entstehung des Lebens. Nur hier auf diesem kleinen Planeten, einer unter Milliarden im Universum, ist aus unbelebter Materie Leben entstanden. Das an sich ist schon unglaublich, aber noch viel unfassbarer ist, welche ungeheure Vielfalt aus den ersten Anfängen des Lebens vor circa vier Milliarden Jahren entstanden ist. Mir tut es in der Tat um jede Art weh, die verschwindet, weil wir Menschen ihren Lebensraum vernichten. Mit jeder ausgestorbenen Art verschwindet ihr einzigartiger Genpool – und das für immer. Dass dadurch der Menschheit ungeahnte Wirkstoffe für neuartige Medikamente, neue Nahrungspflanzen oder sonstige wertvolle Inhaltsstoffe verloren gehen, kommt für mich erst an zweiter Stelle. Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Hätte man erwarten können, dass eine durch Zoonosen übertragene Infektionskrankheit in einer Pandemie mit solcher Wucht auf die Menschheit zukommt, dann lautet die Antwort: Ja, man hätte es wissen können. Natürlich nicht den genauen Zeitpunkt, aber es gibt genügend Beispiele für Erreger, denen der Übergang vom Tier auf den Menschen gelungen ist, wodurch Pandemien ausgelöst wurden. Und es gab auch hochrangige warnende Stimmen. Bereits 2009 wurde im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht, dass sich der Übergang von ansteckenden, epidemischen Krankheiten vom Tier auf den Menschen in den vergangenen 40 Jahren verdreifacht hat. Im Jahr 2007, als gerade die erste Sars-Epidemie überstanden war, warnten Forscher aus Hongkong vor der Tatsache, dass Fledertiere ein großes Reservoir an Viren in sich tragen und der Tradition im südlichen China, exotische Säugetiere zu essen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis diese „Zeitbombe“ hochginge. Auch unser Verein Faszination Regenwald hat bereits im Jahr 2002 in Günzburg und in Ulm eine Veranstaltung zu dieser „Bushmeat-Thematik“ gemacht. Unser damaliger Hauptredner Dr. Johannes Refisch, heute Leiter des Menschenaffenprogramms bei den Vereinten Nationen, hat damals unter anderem ausgeführt, dass der ungehemmte Verzehr von Wildfleisch auch das Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern von Wildtieren auf den Menschen deutlich erhöht.

Als Biologe und Arzt haben Sie sich mit Vorgängen in der Natur und auch mit Krankheiten auseinandergesetzt. Können Sie uns den Begriff der Zoonose erklären und deutlich machen, wie es dadurch zum Ausbruch von Infektionskrankheiten kommen kann?

Lohr: Zoonosen sind nichts anderes als vom Tier auf den Menschen und umgekehrt übertragene Infektionskrankheiten. In Fledermäusen hat man 200 unterschiedliche Viren gefunden, die diese Säugetiere allerdings nicht krank machen. Simone Sommer, Professorin für Tierökologie an der Universität Ulm, erklärt dies unter anderem dadurch, dass Fledermäuse evolutionär schon immer unter einem hohen Selektionsdruck standen und dadurch ein sehr effizientes Immunsystem ausgebildet haben. Das menschliche Immunsystem ist an diese Erreger nicht angepasst und reagiert dann oft mit überschießenden Reaktionen, die bis zum Tod des Patienten führen können. In ihren Studien an Fledermäusen und Nagetieren in Panama konnte Frau Sommer auch nachweisen, dass Umweltzerstörung und der dadurch verursachte Verlust an Artenvielfalt die Infektionswahrscheinlichkeit von Wildtieren auf den Menschen und umgekehrt steigen lässt.

Können Sie uns erklären, woran dies liegt?
Lohr: In intakten Regenwäldern kommt es nicht zur Massenvermehrung von Tierarten, die einzelnen Arten halten sich sozusagen gegenseitig in Schach. Kommt es zu Wald- zerstörungen, kommen einzelne Tierarten damit besser zurecht und vermehren sich massenhaft und mit ihnen auch ihre Erreger. Durch die Wilderei und die Wildtiermärkte kommen sich Mensch und Erreger immer näher und die heutige, nahezu unbegrenzte Mobilität sowie riesige Menschenansammlungen in den urbanen Zentren dieser Welt begünstigen natürlich das Entstehen von Pandemien. Kurz gesagt: Bevölkerungswachstum, Naturzerstörung, Artensterben und der globale Klimawandel begünstigen Zoonosen, sprich die Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf den Menschen. Die beiden renommierten Umweltforscher Joachim Spangenberg und Josef Settele bringen es auf den Punkt, indem sie deutlich machen, dass die Wahrscheinlichkeit von Pandemien mit zunehmender Vernichtung von Ökosystemen und Verlust an Biodiversität steigt, zudem die große Mehrheit der Krankheitserreger noch gar nicht bekannt ist.

Wilderei und Wildfleisch-Märkte sind in Europa kein Thema. Können wir uns dementsprechend freisprechen von der Verantwortung der globalen Pandemie?

Lohr: Die größte Pandemie der jün- geren Menschheitsgeschichte, die Spanische Grippe vor rund 100 Jah- ren mit geschätzt mehr als 50 Millionen Toten, ist von einem Influenza- Erreger ausgegangen, der nach den derzeitigen Erkenntnissen vom Schwein auf den Menschen übergegangen ist, was auch bei der Schweinegrippe-Epidemie im Jahr 2008 mit ungefähr 18 000 Toten der Fall war. Nicht umsonst sieht der bekannte Virologe Christian Drosten den Fleischhunger der Menschheit und die Massentierhaltung in einer Schlüsselrolle bezüglich von Zoonosen.

Wäre eine Alternative die Forderung des US-amerikanischen Wissenschaft- lers Professor Scott Galloway, die Fledermausbestände zu limitieren? Der nächste Schritt wäre die Ausrottung, damit diese Säugetiere als Reservoir für Krankheitserreger ausfallen.

Lohr: Nicht nur, dass ich die Forderung, Lebensformen nur zum eigenen, also zum vermeintlichen Wohle der Menschheit, stark zu dezimieren, für höchst unmoralisch halte, so offenbart diese Forderung genau jenes Denkmuster, das zutiefst meiner und der Überzeugung unseres Vereins widerspricht: Die Erde ist nicht nur für die Art Homo sapiens da. Wir Menschen sind auch nicht die Krönung der Evolution, sondern eine von geschätzt zehn Millionen auf unserem Planeten vorkommen- den Arten – wenn auch eine Art, der eine ganz besondere Verantwortung zukommt. Unabhängig davon müsste man dann nicht nur Fledermäuse konsequenterweise ausrotten, sondern viele weitere Tiergruppen ebenso. Es waren bislang vor allem Vögel, Nagetiere oder Primaten und – nicht zu vergessen – Insekten, die die meisten großen Pandemien ausgelöst haben. Wollten wir diese Tiere alle ausrotten, was natürlich rein technisch gar nicht machbar wäre, so würde es in Folge für uns Menschen dann doch ziemlich einsam werden auf diesem Planeten. Die Forderung muss also genau anders herum lauten: Wir müssen der Natur wieder mehr Raum lassen, wir müssen aufhören, in die letzten noch intakten Naturräume der Erde einzudringen. Wir müssen vermeiden, dass wir in Kontakt mit Krankheitserregern kommen, auf die unser Immunsystem keine Antwort hat. Wir müssen aufhören, durch massenhaften Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung antibiotikaresistente Keime zu züchten, durch die in Europa jährlich circa 33 000 Menschen ihr Leben verlieren. Es wird höchste Zeit, dass wir den Umgang mit unseren Mitgeschöpfen überdenken, wenn schon nicht aus Mitgefühl, dann wenigstens aus Eigennutz.

Und wenn das nicht geschieht?

Lohr: „Wenn wir so weitermachen, sterben wir aus.“ So formuliert es der Botanik-Professor Stefano Manusco, nachzulesen in einem aufschlussreichen Interview mit der Augsburger Allgemeinen vor gut einer Woche. Mehr Eigennutz als den Erhalt unserer Art zu sichern, geht nicht. Das ist aus seiner Sicht nur möglich, wenn wir Menschen verstehen, dass der Homo sapiens ein Teil der Natur ist. Unser Leben als Spezies ist nur garantiert, wenn das Überleben anderer Arten sicher ist.

Was ist dann aus Ihrer Sicht zu tun?

Lohr: Um das Risiko für weitere Pandemien zu minimieren, gilt es in erster Linie, nicht weiter in noch intakte Naturräume vorzudringen, damit Tiere ihre natürlichen Rückzugsräume behalten. Eine intakte Natur ist ein Schutzwall gegen neue Pandemien. Aus meiner Sicht reicht es aber nicht, nur mit dem Finger auf China oder Afrika zu zeigen und dort Wildtiermärkte zu verbieten, was natürlich unzweifelhaft sinnvoll wäre. Die Diskussionen rund um das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ haben gezeigt, in welch erbarmungswürdigem Zustand auch die Natur vor unserer eigenen Haustüre ist. Unsere Umweltministerin Svenja Schulze hat es auf den Punkt gebracht, indem sie sagt: „Die Naturschutzkrise ist die Krise hinter der Corona-Krise.“ Damit hat sie natürlich völlig recht. Und deshalb gilt es, unabhängig von den Maßnahmen, die derzeit zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden, grundlegende Änderungen in der Agrar- und Umweltpolitik vorzunehmen. Aus meiner Sicht muss der Schutz von natürlichen Lebensräumen bei uns, in den Tropen und in den Weltmeeren oberste Priorität bekommen.

Interview: Till Hofmann
Bernhard Lohr, 56, ist promovierter Biologe und Humanmediziner. Er wohnt in Günzburg und praktiziert in der Rheumaklinik Oberammergau. Lohr zieht als Kommunalpolitiker für die Grünen sowohl in den neuen Günzburger Stadtrat als auch in den Kreistag ein.

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Vieles deutet darauf hin, dass der Ursprung der Corona-Pandemie der Huanan Wet-Market in Wuhan war. Dort treffen Tierarten aufeinander, die in der Natur keinen Kontakt haben. Das Symbolfoto stammt allerdings aus der südchinesischen Stadt Yulin – dort wurde im Juni 2016 ein Hundefleisch-Festival gefeiert. Foto: Wu Hong/dpa